
This prose poem was written during the visit to Bali island in 2011, and was first performed as poetry-sound at the Treasure Hill Artist Village (THAV) with the balinese traditional instrument Kalimba. It was originally released on the feuilleton of THE MERIT TIMES on September 28, 2011 and was included in the third poetry anthology TRAUMWANDLUNGEN (2019) von Tong Yali as prologue, pp. 12–13.
Auf einer wunderschönen Insel lebt eine Frau namens Haniyah Sumirah. Die Bewohner auf der Insel sind dunkelhäutig und sanftmütig, was den vier Jahreszeiten auf dieser Insel entspricht, die stets sommerlich, aber niemals winterlich sind.
Es fällt uns schwer, etwas über Haniyah Sumirah zu erfahren. Der Grund, warum es uns schwerfällt, liegt nicht darin, dass wir nicht fragen, sondern darin, dass sie auch keine Antwort geben kann. Haniyah Sumirah hat volle Lippen, doch sie ist äußerst schweigsam. Der Grund dafür liegt nicht darin, dass sie von Natur aus wortkarg ist, sondern darin, dass sie auf ihrer Insel die eigene Muttersprache nicht sprechen darf.
Wo sie arbeitet, sprechen die meisten Menschen eine Sprache, die sie nicht verstehen kann. Weshalb ist das so? Denn sie sind auf einer Insel aufgewachsen, die unter der Herrschaft fremder Völker steht. Fremde Völker gelangen an die Küste der Insel und waren von deren Landschaft überwältigt. Sie betreten mit großen Schritten dieses Land, stampfend und entschlossen, und treten tief in jede einzelne Erde der Insel ein.
Diese Inselfrau, Haniyah Sumirah genannt, kennt ihren Namen nur in ihren eigenen Gedanken. Für die meisten Menschen auf dieser Insel ist ein Name für sie überflüssig. Haniyah Sumirahs Hände sind wunderschön aber zugleich grob. Ihre Hüften sind üppig und geschwungen. Es ist eine kraftvolle Beständigkeit, die sich in der Struktur ihrer Armmuskeln offenbart.
Haniyah Sumirah arbeitet mit ihren Händen. Tag für Tag arbeitet sie konzentriert mit ihren Händen. Wenn sie arbeitet, bleibt sie stumm. Wenn sie arbeitet, bleibt sie stumm. Wenn sie mit ihrer letzten Kraft arbeitet, Ihre Sprache kam aus der Kraft des Lebens und den blauen Adern, die unter der Haut ihrer Hände abzeichneten.
Die Landschaft der Insel ist außergewöhnlich schön. Von dem Platz ihrer Arbeit aus kann man das üppige Grün der Berge und das tiefblaue Himmelszelt erblicken. Haniyah Sumirahs Augen sind durchdringend klar – sie erkennt mühelos die Signale, die von den Körpern anderer ausgehen. Haniyah Sumirah weiß um ihre Fähigkeiten. Sie queren durch die Glieder der fremden Völker, mit der Mechanik ihrer Körper, und lässt zugleich die Körper der fremden Völker durch ihre Seele hindurchgehen.
Haniyah Sumirah auf der Insel. Sie ist von der Insel eingeschlossen. Ihre freie Seele ist eingekapselt und in ihrem Körper gefangen. Haniyah Sumirah bleibt stumm, weil sie nicht sprechen muss – weil sie weiß, dass Worte von ihr nicht nötig sind.
Diese Insel ist ihr überdrüssig, doch die Schönheit der Insel trägt sie immer in sich. Sie ist so schön wie diese Insel, die keinen Winter kennt – wie diese lautlose, aber zugleich entschlossene Schönheit.
*Prolog des Gedichtbands Traumwandlungen (2019). S. 12 – 13.
Poetry-Sound Performance (On-site-recording)|2011|12'35"|Taipei, Taiwan
Borderland’s Dawn – Epilogue: A Poetry-Sound-Performance
Theme: my soul is bare beyond the wall, a withered wait
Date: Sat. April 2, 2011, 19:30 – 21:00
Venue: Treasure Hill Artist Village (THAV), Taipei, Taiwan