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19. März 2019

Interview-Nr. 003.
"Traumwandlungen": Tong Yali spricht über ihren Gedichtband. Radio Taiwan International – Deutsch (10'00")

Rother, Carina. "Traumwandlungen": Tong Yali spricht über ihren Gedichtband. Radio Taiwan International – Deutsch. March 19, 2019. (Radio Interview, German)

Link: https://www.youtube.com/watch?v=DdI9xGEOQL0

  1. Warum schreibst Du Gedichte? Was bedeutet diese Textform für Dich?

 

Meine erste Begegnung mit der Poesie war ein zufälliger Moment, als ich noch Germa­nistikstudentin war. Ich habe an der Tafel im Seminarraum ein Gedicht von Thomas Brasch gesehen, was von dem vorigen Unterricht geblieben war:

 

Lied (1979)

 

Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber

wo ich bin will ich nicht bleiben, aber

die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber

die ich kenne will ich nicht mehr sehen, aber

wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber

wo ich sterbe, da will ich nicht hin:

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.     

 

Ich habe diese Verse in mein Notizbuch abgeschrieben und versuchte, sie ins Chinesi­sche zu übersetzen. Danach begann ich, eigene Gedichte zu verfassen. Für mich ist die Lyrik die minimalistischste und die tiefsinnigste Textform zur Darstellung der Welt – natürlich aus der Sicht des „Ich“, und inhaltlich geht es um den Geist des Individuellen, der Sprache und der Zeit.

 

  1. Worum geht es in deinen Texten? Worüber schreibst Du, und wie hat sich dein Stil entwickelt? 

 

In den drei Lyrikbänden von mir, wurde das Motiv „Grenzlands“ gekennzeichnet, insbesondere in meinem ersten Gedichtband Grenzlandsdämmerung, das aus dem Jahr 2010 in Taiwan herausgegeben wurde. Unter anderem sind die Verhältnisse der Frauen ein anderes wichtiges Thema in meinen Gedichtbänden.

 

Taiwan, woher ich komme, kann als ein geografisches Grenzland bezeichnet werden. Aufgrund des Zusammenstoßens zwei Erdplatten steigt diese Insel auf dem Meeresspiegel. Die Stadt Berlin, wo ich lange Zeit lebe, hat mir durch ihre Mauer die zwei geteilte Geschichte gezeigt. Der Zustand von dem „Inzwischen“ und dem Unklassifizierbaren hat mich fasziniert, und daher beschreibe ich die Eigenschaft der Zugehörigkeit von Grenzen.

 

In meinem zweiten Gedichtband Mondschein, Schlaflose stelle ich hauptsächlich die Gedanken von der Liebe dar. Obwohl die meisten Gedichte in Deutschland verfasst wurde, habe ich die Sprache in einer gemischten Form von modernem und klassischem Chinesisch verwendet, denn das Leben im Ausland hat mich eine Wiederkehr dazu geführt. Im Februar dieses Jahres wird mein dritter Gedichtband Traumwandlung auf der 27th Taipeh Buchmesse erschienen, und in diesem Werk beschreibe ich in Form von Lyrik mehre Dimensionen von meinen Beobachtungen durch die Reisen und das Pendeln zwischen Taiwan und Deutschland. Außer Lyrik verfasse ich noch die Reportage, Prosa und Roman. Ich versuche die Welt, die ich sehe, in verschiedenen Weisen zu schildern.

 

  1. Wie kam es zu der Veröffentlichung von „Traumwandlungen“? Wie lange hast Du daran gearbeitet? 

 

„Die Traumwandlung“ ist in einem taiwanischen Verlag, Chi-Ming Publishing, erschienen. Dieser Verlag gibt hauptsächlich literarische Werke aus Europa und aus dem englisch-sprachigen Raum heraus, auch Gedichtbände von taiwanischen Dichtern sind einer seiner Schwerpunkte. In den vergangenen Jahren habe ich zwei übersetzte literarische Werke in diesem Verlag veröffentlicht, eines davon ist „Der geteilte Himmel“ von Christa Wolf. Aufgrund dieser positiven Erfahrungen der Zusammenarbeit habe ich beschlossen, bei diesem Verlag zu bleiben. Das Verfassen des Bandes „Die Traumwandlung“ er­streckte sich über 13 Jahre, nämlich von 2003 bis 2016, als ich etwa Mitte zwanzig bis kurz vor vierzig war. In diesen Jahren habe ich mein Masterstudium abgeschlossen und als Journalistin bei einer linkspolitischen Wochenzeitung gearbeitet, und dann bin ich nach Deutschland gezogen und habe dort meine Promotion begonnen. In diesem Gedicht­band habe ich am Ende jedes Gedichts die Zeit und den Ort vermerkt, sodass man die Entstehung der Gedichte zeitlich und räumlich miterleben kann.

 

  1. Wer ist Dein Publikum? Wen möchtest Du erreichen, was möchtest Du den Lesern mitgeben?

 

Mein Publikum besteht überwiegend aus ehemaligen Lesern und Leserinnen meiner journalistischen Texte. Ich war selten im Internet, deshalb kennt mich mein Publikum nur durch die Veröffentlichungen meiner Übersetzungen. Ich hoffe, dass ich bald ein breite­res Publikum erreichen kann, denn die Poesie ist zu einem Trend geworden. Ich möchte meine Wahrnehmungen und Erfahrungen von meinen Reisen und meinem Leben in Deutschland, Taiwan und in der Welt mit dem Lesepublikum teilen.

 

  1. Gedichte werden heutzutage immer weniger gelesen und geschrieben, gleichzeitig gibt es neue Bewegungen wie die des Poetry Slams. Warum findest Du Gedichte eine wichtige Literaturform, und wie wird sie sich Deiner Meinung nach weiterentwickeln?

 

Das Lesepublikum für die Lyrik ist nicht klein. Durch die Verbreitung der einzelnen Gedichte in sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram ist ein großes junges Publikum hinzugekommen. Die junge Generation hat bessere Lebensbedingungen als die ältere und zeigt Interesse an Kultur, Kunst und Poesie. Eine Zeit lang gab es den Trend, mit Füllfederhalter ein Gedicht in schöner Handschrift abzuschreiben. Dieses Handschrift-Phänomen hat nicht nur den Handel von Papier und Füllfederhaltern voran­getrieben, sondern auch viele junge neue Dichter hervorgebracht. Mit dem „Poetry Slam“ habe ich mich seit langem beschäftigt – als ich im Jahr 2011 die Online-Zeitschrift VOLLMOND Poesie-Klang Magazin gegründet habe, gab es noch nicht viele Werke in dieser Art zu sehen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Literatur und Musik wurde dann zur Mode. Meiner Meinung nach ist die Beziehung zwischen Lyrik und Musik in manchen Fällen untrennbar. Viele wichtige Musikstücke haben literarische und lyrische Werke als Vorlage. Die „Verklärte Nacht“ von dem Komponisten Arnold Schön­berg (1874-1951) stammt aus dem gleichnamigen Gedicht von dem Dichter Richard Demel (1863-1920) aus dem 19. Jahrhundert. Die experimentellen dadaistischen Klang­gedichte haben mich ebenfalls fasziniert. Ich glaube, an der Peripherie und an der Schnittstelle von Literatur und Kunst kann vieles geschehen. Ich freue mich auf die Musiker, die in diesem Bereich arbeiten und nach und nach zu einem Vorbild werden.

 

  1. Werden Gedichte in Taiwan anders oder öfter gelesen als in Deutschland?

 

Ja, wie gesagt, Gedichte in Taiwan werden sowohl öfter gelesen als auch öfter geschrie­ben. Die neuen jungen Dichter haben meistens eigene Facebook-Fanseiten. Und die kurzen und lakonischen Zeilen der Gedichte sind für das Posten sehr geeignet und können das Lesepublikum anziehen. Ich finde, es ist die schönste Zeit zum Gedicht­schreiben – zumindest sind die Verfasser nicht mehr so einsam!

 

  1. Welches Gedicht in dem Band gefällt Dir persönlich am besten? Kannst Du es vorlesen, und ungefähr beschreiben, was es auf Deutsch bedeutet?

 

Die Epoche der Fantasie (S. 42)

 

Das, was so rein, dass es reiner nicht sein kann

mag sein, das ist noch im Reich der Fantasie verweilt

So grausam ist das Leben

dass die Menschen der Fantasie sich bedienen beginnen

einzutreten in eine Epoche

so rein, dass sie nicht reiner sein kann

 

Berlin, 2012



幻想時代


那純粹得不能再純粹的

也許正停留在幻想之中

生活如此殘酷於是人們

開始倚賴幻想進入一個

純粹到不能再純粹的美好時代

  

(二○一二年,柏林)








《夢遊地》Traumwandlungen

Nr. P5

詩集 poetry collection|Gedichtband

啟明出版 Chi Ming Publishing

February 11, 2019







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